Vom Turme her in Staudt…

…da weinte unser Glöcklein heute gar so laut.

So dichtete es einst Jakob Hölzgen (genannt „Schuster Jakob“, 1885-1943) im Jahr 1942. Der  Grund war das Einschmelzen der Staudter Kirchenglocken, um aus ihnen Kriegsgerät herzustellen. Im zweiten Weltkrieg wurden so landesweit 100.000 (!) Glocken eingeschmolzen, was nicht nur für die Staudter Dorfbevölkerung ein sehr schmerzhafter Moment gewesen ist. Zudem etablierten die Nationalsozialisten am 27. März 1940 über den „Aufruf zur Spende des deutschen Volkes zum Geburtstag des Führers“ eine Metallspende, woran sich die Bevölkerung mit dem Sammeln und Hergeben von Metallgegenständen beteiligen sollte. Diese straff organisierten „Metallmobilisierung“  war ein wichtiger Baustein dafür, dass das Deutsche Reich in der Lage war, seine Rüstungsproduktion bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs aufrechtzuerhalten.

Des Kirchenglöckleins Abschied von Staudt

Das Gedicht von Jakob Hölzgen ist betitelt mit „Des Kirchenglöckleins Abschied von Staudt“ und es erlangte in der Generation meiner Großväter große Popularität.

Hier gibt es das Gedicht vertont (KI-generiert) im Stile von Reinhard Mey: Link zum Lied

Ich erinnere mich, dass ich es in den 1990er Jahren für meinen Opa „in schön“ abtippen und ausdrucken sollte. Ich vermute, dass Jakob Hölzgen sein Gedicht seinerzeit auch schon ins Reine geschrieben und verteilt hatte. In vielen Staudter Haushalten jedenfalls war das Gedicht bekannt und beliebt bzw. ist es bis heute geblieben. Es ist eine Hommage an die Kirchenglocke von Staudt, die symbolisch für die Verbundenheit der Menschen mit ihrem Glauben und ihrem Land steht. Die Glocke wird personifiziert und als treuer Diener Gottes beschrieben, der die Menschen durch ihren Alltag begleitet hat:

Vom Turme her in Staudt
Da weinte unser Glöcklein heute gar so laut
Das große Zeitgeschehen,
hieß sie heute von uns gehen.
Ja auch dem Wort der Treu
folgt sie ja auch aufs neu
Sankt Bartholomäus dem großen Märtyr-Held,
War sie fünfundsiebzig Jahr treu unterstellt;
Treu hat sie gedient
Treu hat sie gewacht
Für Gottes Ehre
Für Gottes Macht

Jeden Morgen den Gott erschuf
Bracht sie uns Menschen den ersten Gruß
Mittags mahnte sie vom Turme rund in weite Fern
Uns zum Engel des Herrn.
Abends wenn im Westen die Sonne sank,
dann rief sie uns Erdkinder noch alle einmal zu:
„O, denke an Gotte und gehe zur Ruh.“
Gar manchen Greiß und manchen Knaben
Beweinte sie vom Turm zu Grabe,
in Sturm und Not, in Freud und Leid
war sie für uns stets hilfsbereit.

Und sind nun meine Rufe im Turm für Zeiten nun verklungen,
O, lasst das Gebet in diesem Hause nicht verstummen,
Betet – betet in dieser großen Not!
Zu Gott bis in den Tod,
Ich kann nicht mehr bei euch bleiben,
muss fort von euch muss streiten
für Ehre – Freiheit und für Recht
dem großen deutschen Junggeschlecht.
Muss kämpfen in diesem Krieg
Und bringen euch den Sieg.

Meine letzten Töne
Die in meinem Turm verhallen
Eilen hin zu euren Söhnen
Die im Kampfe sind gefallen.
Die dringen ein in jedes Heldengrab
Und grüßen jeden tapferen Soldat.
Ruhet alle ihr in Frieden
Die ihr von fremder Erde seid bedeckt
Der Himmel ist ja euch beschieden.
Die Stimme Gottes einst euch, auch dort erweckt.
Grüßen will ich all euch Lieben
Mein Wunsch sei für immer euch beschieden
Lebt mit Gott dann habt Ihr alle – alle Frieden.

Text bzw. Gedicht von Jakob Hölzgen 1942