Als Herr Thull schoss und der Kladderadatsch verboten wurde
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zogen im Jahr 1919 amerikanische Truppen in Montabaur ein – eine kleine Episode der großen Besatzung des Rheinlandes. Anders als in größeren Städten blieb der Aufenthalt der Soldaten hier jedoch nur kurz und endete bereits im selben Jahr. Diese Zeit brachte trotzdem Bewegung in die Region, führte zu neuen Kontakten und ließ die Bewohner kurzzeitig internationale Luft schnuppern.
Auch die Staudter Schulchronik berichtet:
Am 16. Dezember 1919 konnte der Unterricht wieder beginnen. Da aber die amerikanischen Soldaten den Lehrsaal der 1. Klasse zu Unterrichtszwecken benutzten, mußten viele Stunden ausfallen. (…) Nach Unterzeichnung des Friedensvertrages wurde ein Teil der amerikanischen Armee in die Heimat befördert u. die Besetzung der kleineren Ortschaften wurde zurückgezogen. Staudt wurde am 23. Juli von den Amerikanern geräumt.
Mehr als diese wenigen Sätze gibt es leider nicht.
Einen teils kuriosen Einblick bieten die folgenden Auszüge aus dem Sonder-Abdruck des „Amtlichen Teiles“ des Kreisblattes für den Westerwaldkreis vom Jahr 1919:
Herr Thull schießt auf einen amerikanischen Offizier
Am 3. Juli 1919 wurde ein Vorfall gemeldet, bei dem ein Bürger namens Mathias Thull in Montabaur auf einen amerikanischen Offizier schoss. Daraufhin erinnert die amerikanische Besatzungsbehörde an die geltenden Waffenvorschriften: Das Tragen von Gewehren und tödlichen Waffen ist für die Zivilbevölkerung verboten, außer für bestimmte Beamte (Gendarmen, Gemeindepolizei, Förster) mit einer gültigen Erlaubnis. Verstöße werden disziplinarisch geahndet.
Im Original heißt es:
Nach einer mir zugegangenen Mitteilung des Hauptquartiers der 1. amerikanischen Division hat der Bürger Mathias Thull in Montabaur, Große Markt Nr. 6 wohnhaft, am 28. Juni 1919 einen Schuß auf einen amerikanischen Offizier aus einer Pistole abgegeben, die später unter dem Ofen in seiner Küche gefunden wurde.
Aus Anlaß dieses Vorfalls wird erneut auf den Befehl des Hauptquartiers der 1. amerikanischen Division vom 13. Mai 1919 hingewiesen, welcher lautet:
- Tragen von Gewehren und tödlichen Waffen.
Es wird aufmerksam gemacht auf die Bekanntmachung des Oberbefehlshabers vom 9. Dezember 1918, wonach verboten ist: „Das Tragen von Gewehren oder tödlichen Waffen ist verboten, ausgenommen von der Ortspolizei.“
- Bürger, die Waffen tragen dürfen:
Der Ausdruck „Ortspolizei“, wie er im vorhergehenden Absatz gebraucht ist, umfasst die folgenden Klassen und nur diese, der bürgerlichen Bevölkerung:
a) Gendarmen,
b) Ortspolizei der Gemeinden,
c) Staatsförster,
d) Gemeinde-Oberförster,und jeder derartige bürgerliche Beamte darf Gewehre oder tödliche Waffen nur tragen, wenn er eine Erlaubnis dazu bei sich hat, die von dem Beamten richtig ausgestellt ist, von dem er seine Anstellung erhalten hat, oder unter dem er dient.
An Ruheständler werden Übertretungen dieser Vorschriften einem disziplinarischen Prozesse seitens der amerikanischen Besatzungsbehörde unterworfen werden.
Der Landrat: Bertuch.
Der „Kladderadatsch“ darf nicht mehr verkauft werden
Der „Kladderadatsch“ war eine bekannte satirische Zeitschrift im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik, die oft politische und gesellschaftliche Themen humorvoll und kritisch beleuchtete. Das Verbot des „Kladderadatsch“ im von Amerikanern besetzten Rheinland im Jahr 1919 deutet darauf hin, dass die amerikanischen Behörden die Inhalte der Zeitschrift als unvereinbar mit den Interessen der Besatzungsmacht betrachteten und als Provokation verstanden.
Der Wortlaut im Original:
Gemäß Anordnung der amerikanischen Behörde ist der „Kladderadatsch“ für das von den Amerikanern besetzte Gebiet verboten worden, wegen der Regierung der Vereinigten Staaten schädigender und die augenblicklichen Militärbehörden im Rheinland beleidigender Artikel und Abbildungen.
Montabaur, den 29. August 1919.
Der Landrat: Bertuch.
Fronleichnamsprozession
Der Landrat von Montabaur gibt bekannt, dass der amerikanische Armeekommandant die Erlaubnis zur Abhaltung von Fronleichnamsprozessionen innerhalb der amerikanischen Besatzungszone am 19. Juni 1919 erteilt hat, allerdings unter bestimmten Bedingungen:
- Die Prozessionen müssen bei den zuständigen Ortskommandanten angemeldet werden, mit Angabe des Ortes, der Zeit und des Weges.
- Demonstrationen und politische Fahnen oder Symbole sind verboten, und die Prozessionen dürfen keine Störungen verursachen. Es sind nur kirchliche Farben und Fahnen erlaubt.
Der Wortlaut im Original:
Montabaur, den 14. Juni 1919.
- Unter Bezugnahme auf die Gesuche, die mir von verschiedenen Seiten innerhalb der amerikanischen Besatzungszone zwecks Genehmigung der Fronleichnamsprozession am Donnerstag, den 19. Juni 1919, zugegangen sind, benachrichtige ich Sie, dass der Armeekommandant die Genehmigung erteilt hat, solche Prozessionen überall im amerikanisch besetzten Gebiet zu veranstalten, vorausgesetzt, dass vorher bei dem zuständigen Ortskommandanten die Erlaubnis hierzu nachgesucht wird, unter Angabe des Ortes, wo die Prozessionen gehalten werden, der Stunden, während deren sie stattfinden und des Weges, den sie einschlagen wollen.
- Der Armeekommandant beauftragt mich jedoch mitzuteilen, dass diese Prozessionen sich jeglicher Demonstrationen enthalten müssen und dass die Genehmigung zur Abhaltung solcher Prozessionen nicht das Recht in sich schließt, deutsche Nationalfarben oder irgendwelche Fahnen (Banner) politischen Charakters zu entfalten, noch irgendeine Handlung vorzunehmen, welche zu Störungen führen könnte. Mit anderen Worten, sie müssen sich streng dem Wohlverhalten anpassen, welches die Zivilbevölkerung den besetzenden Mächten gegenüber zu beobachten hat.
gez.: A. L. Hunt, Oberst.
Wird veröffentlicht. Ich weise noch besonders darauf hin, dass nur kirchliche Farben und Fahnen Verwendung finden dürfen.
Montabaur, den 14. Juni 1919. Der Landrat: Bertuch.
Einordnung:
Dieser Text stammt aus der Zeit kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als das Rheinland von amerikanischen Truppen besetzt war. Die Anweisung spiegelt die strikte Kontrolle der Besatzungsmächte über öffentliche Veranstaltungen und religiöse Zeremonien wider, um mögliche politische Spannungen oder nationalistische Demonstrationen zu verhindern. Das Verbot deutscher Nationalfarben zeigt das Misstrauen gegenüber jeder Form von patriotischer Kundgebung, während das Einhalten von „Wohlverhalten“ gegenüber den Besatzungstruppen verlangt wird.
Hier noch weitere „Mosaiksteinchen“ ausdieser Zeit:
Weiterführendes zum Thema „Americans in Montabaur“
Ansonsten verweise ich auf den Artikel „Die amerikanische Besatzung in Montabaur und Umgebung nach dem Ersten Weltkrieg 1918-1923“ von Stadtarchivar Dennis Rörig, hier online einzusehen: https://www.regionalgeschichte.net/index.php?id=21235